Ein Motorrad im Versandhandel

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„Ich habe gestern Abend ein Motorrad im Versandhandel bestellt“, sagte der Junge auf dem Schulhof. „Und bald komme ich damit zur Schule.“

Neckermann-Anzeige um 1980
Neckermann-Anzeige um 1980

 

Ein Motorrad bei einem Versandhändler? Ja, das war in den siebziger und achtziger Jahren möglich. Das westdeutsche Unternehmen Neckermann bot alle Exportmodelle der ostdeutschen Marken Simson und MZ an. Von Simson-Mopeds sah man nicht viel und als man sie sah, waren sie etwas seltsam. Sie kosten aber noch weniger als ein österreichischer Puch Maxi, der keinen Kumpelsitz und kein Vierganggetriebe hatte.

MZ, das war eine andere Geschichte. Mein Klassenkamerad träumte sechs Wochen lang davon, dass ein Neckermann-Bus vor seiner Tür halten würde, aus der ein schwarz-chrom glänzendes Ross vorsichtig gefahren wurde. Und mit dem ein stolzer Rundgang durch Kiez und Stadt gemacht werden konnte. Nun, das war etwas enttäuschend.

Was kam war ein Lastwagen, aus dem eine Holzkiste herauskam. Es musste unterschrieben werden. „Aber das ist kein Motorrad!“ er stöhnte immer noch. „Nein, du musst es selbst zusammenbauen“, sagte der Fahrer. „Hm? Was? Wie?“… „Hier unterschreiben, Junge, am Kreuz, denn ich habe noch mehr zu tun.“

In der Kiste befanden sich Rahmen, Motorblock, viele lose Chrom- und Blechteile, ein Kabelbaum, ein Tank und ein Buch in technischem Deutsch. Aus dem Ganzen stieg der Duft von Bohr- und Schneidöl, Konservierungswachs und Lagerfett auf. Alles war in kilometerlanges braunes Pergamentpapier eingewickelt. Es stellte sich heraus, dass ein Plastikumschlag einen Satz Schlüssel und Schraubendreher enthielt.

Mit etwas Hilfe hat alles geklappt. Der MZ TS 250 musste wie ein Ikea-Möbel zusammengebaut werden, und genau wie ein Ikea-Möbel bestimmt die Geduld, Präzision und Aufmerksamkeit des Monteurs das Endergebnis. Ein hilfsbereiter Bekannter wusste, wie man Zündung, Vergaser, Bowdenzüge und Bremsbacken einstellt. Für alle Fälle wurde ein Drehmomentschlüssel ausgeliehen und nach wenigen Wochen erwachte die Maschine mit einem beeindruckenden blauen Dunst und einem unverwechselbaren „Rengdengdengdeng“ zum Leben.

Der MZ-Aufkleber wurde von DKW abgeleitet
Der MZ-Aufkleber wurde von DKW abgeleitet

 

Motorradbau Zschopau

Was war das jetzt für MZ? Es begann mit den DKW-Werken, die sich nach dem Krieg in der russischen Besatzungszone befanden. Diese gingen zunächst verloren, weil die UdSSR im Rahmen von Reparationen die Hälfte der gesamten Industrie in ihrer Zone beschlagnahmen durfte. Infolgedessen erschienen bereits nach wenigen Jahren russische IZH-Kopien der berühmten DKW RT-Serie. Nicht nur die Russen profitierten davon: Der BSA Bantam kam aus England und der Harley-Davidson Hummer aus den USA. Mit voraussichtlich fünf Millionen produzierten Exemplaren auf allen Kontinenten ist die DKW RT 125 eines der meistgebauten Motorradkonzepte überhaupt.

Wir schreiben 1952, als die Marke MZ (Motorradbau Zschopau) in Zschopau, einer idyllischen sächsischen Stadt nahe der tschechischen Grenze, gegründet wurde. Zunächst mit den DKW-Modellen unter eigenem Markennamen, darunter mehrere tausend Zweitakt-Boxer-Zwillinge mit 300 ccm. Die meisten Kunden wollten jedoch die einfachen, zuverlässigen 125er, 175er und 250er Einzylinder.

Motorradstadt Zschopau Autobahnschild.svg

Zu sagen, dass MZ-Motoren erfolgreich waren, ist eine Untertreibung. Im Gegensatz zu den ostdeutschen Automarken hatte MZ im Westen viele Enthusiasten, vor allem bei Arbeitern und Studenten. Um 1960 wurde MZ die größte europäische Motorenfabrik und ersetzte die tschechoslowakische Jawa. Aufgrund des hohen Anschaffungspreises und der Wartezeiten für Autos war das Motorrad, mit oder ohne Beiwagen, in der DDR ein beliebtes Fortbewegungsmittel. In Ostdeutschland gab es zwanzigmal so viele Motorräder pro Einwohner wie in Westdeutschland, während es im Westen viermal so viele Autos pro Einwohner gab. Auch schien die IFA, der Dachverband der Verkehrsmittel, gegenüber MZ eine etwas weniger rigide und konservative Modellpolitik zu verfolgen als bei den Autoherstellern: MZ brachte regelmäßig neue Modelle auf den Markt, während Wartburg und Trabant sich nach den XNUMXer Jahren kaum veränderten.

Deutsch durch und durch

An der Qualität war nichts auszusetzen. Die MZ war ein echtes deutsches Produkt, kein überflüssiger Schnickschnack, aber absolut durchdacht und verarbeitet. Die Zweitakt-Einzylinder liefen vibrationsarm, die Stahlblechrahmen (mit Rohrrahmen aus der ETZ-Baureihe) waren verwindungsfrei, der Motor lenkte, bremste und federte absolut ordentlich. Wie bei Jawa drehte sich die Antriebskette in Gummitunneln und war somit gut vor Wasser und Schmutz geschützt. Ein solides Arbeitstier und eine angenehme Maschine.

Rohrrahmen ETZ-Serie
Der Rohrrahmen eines MZ-ETZ

Ausgeschrieben mit einem Top von 125, waren es in der Praxis (Solo) 135. Es gab natürlich auch Nachteile. Aufgrund des geringen Gewichts von 135 Kilo gab es mit oder ohne Beifahrer einen deutlichen Unterschied im Handling (und Bremsverhalten). Aber für einen Motorradneuling mit knappem Budget gab es kein besseres Angebot als die MZ, das hatte mein Schulfreund richtig gesehen. Und er fuhr ihn jahrelang.

Das größte Problem waren eigentlich die Reifen. Für ihn könnte der Werbeslogan „Pneumant, ein feiner Reifen“ in den Müll gehen, weil es gar keine guten Reifen waren. Sie boten für Zweiradreifen zu wenig Grip und wurden bald durch eine westliche Marke ersetzt.

Neckermann TS250/1
Neckermann MZ TS 250/1

Nach der „Wende“ wurde das Unternehmen zerlegt und dem Weltmarkt angeboten, wobei die türkische Kanuni die Rechte zur Weiterführung der ETZ-Modelle erhielt. Ein Neustart in Deutschland unter dem Markennamen MuZ scheiterte, weil der österreichische Rotax-Viertaktmotor den ursprünglichen Vorteil von MZ, niedrigen Anschaffungspreis und einfache Technik zunichte machte. Der letzte ETZ 251 Zweitakt wurde für 3.000 DM angeboten, die MuZ R500 kostete plötzlich 9.000 DM, ohne Rauchfahne, aber auch ohne bessere Leistung. In diesem Segment waren die großen japanischen Marken sehr stark und die alte Fabrik ging verloren.

Ich habe mich einmal eine Stunde bei einem Motorradtreffen mit einem netten Berliner Ehepaar unterhalten, das mit seiner ETZ 251 um die Welt gefahren war. Das Fahrrad war voller Koffer und Taschen. Es wird nicht schnell gehen. Aber es war möglich und sie konnten schön davon erzählen. Eine Maschine, die Millionen Menschen glücklich gemacht hat, hat Spuren hinterlassen.

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11 Kommentare

  1. Dichtungen und O-Ringe sind keine Einzelstücke. Diese Größen findest du überall. Finden Sie sie in Viton-Qualität und ersetzen Sie sie für ein paar Dollar. Danach keine Probleme mehr. Es ist der alte NBR-Kautschuk, der durch Aromaten aufquillte und bei neueren Kraftstoffen wieder schrumpfte. Das sehen wir auch bei GTL und HVO100 statt regulärem Diesel.

  2. Ich habe auch meine eigene ETZ 250 über den Händler in der Kiste gekauft (1987; Discounter!); aber nicht über Neckermann. Das bedeutete weniger IKEA-Arbeit, aber immer noch etwas Bastelei. Lecker! Jetzt mehr als 100000 km hinter den Rädern. Der Motor fährt noch wie die Feuerwehr (in einer Barkas B1000 Feuerwehr ja, aber trotzdem...)

    • Ich selbst hatte einen Jawa 350/7 Oilmaster, ungefähr den gleichen Preis, oder billig, 2650 Gulden. Wie im Bild. Habe es mit 90.000 Kilometern auf dem Tacho wegbekommen, dann hat die Kompression etwas nachgelassen, aber zu meiner Freude habe ich gesehen, dass es immer noch versichert ist und herumfährt. Es ist also jetzt vierzig Jahre alt.

      634.7

  3. @Rjab
    Bei meiner Zweitakt-Kettensäge war es sofort notwendig, die Vergasung anzupassen, als ich von normalem Mischöl-Benzin auf Aspen umgestiegen bin. Diese Aspen ist eine dünnere Flüssigkeit.
    Ich weiß nicht, ob die Hauptdüse bei einer Spartamet dafür verstellbar ist. Wenn dies nicht der Fall ist, kann es ziemlich schwierig sein, das erste zukunftsweisende "Narrenrad" zu bekommen, das jemals in den Niederlanden gelebt hat. Soweit ich mich erinnere, sind diese Gaswerke nicht das, was Sie "würdig" nennen, das Prädikat "Vergaser".

  4. Dass in meinen jungen Jahren die DDR, die Tschechoslowakei und die Sowjetunion noch schmecken konnten.

    Der Geruch von Pech, Öl, Braunkohle und blauen Zweitaktdämpfen.
    Dort herrschte Einfachheit und das machte mich zum Meister!

    Trabanten, Wartburg, MZ, JAWA und Karpaten haben sie alle „ausprobiert“.

    Es war eine Ehre und ein großes Privileg, diese herrlichen Motorräder und Automobile wie kommunistische Vollblutpferde zu fahren.

  5. Nun, Zweitakt, es ist immer noch schön.
    Werde versuchen, den Spartamet bald einsatzbereit zu machen.
    So funktioniert es dann. Die unbegrenzte Zündung ist schon da. 32 km/h habe ich damit schon erreicht, muss mit meinen 1,96 m ein urkomischer Anblick sein 😜 ragt von allen Seiten heraus. Würde es mit Aspen-Zweitaktbenzin gut laufen? Vielleicht sind es auch Millionen von Dollar.

    • Vorsicht beim Tanken von Zweitakt-Benzin an der Zapfsäule klassischer Motorräder. Ich hatte einmal die schlechte Erfahrung mit einem Jawa 350 Twin Sport, dass die Kurbelwellendichtringe nach nur einer Shellkna-Benutzung steinhart geworden waren. Alle Weichmacher wurden ausgespült. Das richtige Öl immer selbst dazugeben, Castell TT ist gut.

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